Beratung für Frauen in Beckum

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Wahrnehmung der Gewalt

Ausgehend von der Frauenbewegung in den siebziger Jahren wird Gewalt gegen Frauen und Mädchen in ihren verschiedenen Erscheinungsformen zunehmend wahr-genommen, als Trauma (an-)erkannt und als folgenschweres gesellschaftliches Problem begriffen. Nachdem zunächst die Misshandlung von Frauen in Ehe und Partnerschaft offengelegt wird, folgt die Aufdeckung von Vergewaltigung, sexuellem Missbrauch, Belästigung am Arbeitsplatz, von Frauenhandel und Zwangsprostitution als weitverbreitete Gewaltformen und -erfahrungen.

Die „Erklärung über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen“ der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 20. Dezember 1993 definiert „Gewalt gegen Frauen“ als "... jede gegen Frauen auf Grund ihrer Geschlechtszugehörigkeit gerichtete Gewalthandlung, durch die Frauen körperlicher, sexueller oder psychologischer Schaden oder Leid zugefügt wird oder zugefügt werden kann, einschließlich der Androhung derartiger Handlungen, der Nötigung und der willkürlichen Freiheitsberaubung, gleichviel ob im öffentlichen oder im privaten Bereich“ (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 1999, S. 180).

Eindeutig fasst Artikel 3 der Resolution die Rechte der Frauen:

"Frauen haben gleichberechtigten Anspruch auf den Genuss und den Schutz aller politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, bürgerlichen und sonstigen Menschenrechte und Grundfreiheiten. Dazu gehören unter anderem die folgenden Rechte:

  • Das Recht auf Leben;
  • das Recht auf Gleichberechtigung;
  • das Recht auf Freiheit und persönliche Sicherheit;
  • das Recht auf gleichen Schutz durch das Gesetz;
  • das Recht auf Freiheit von jeder Form von Diskriminierung;
  • das Recht auf das erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit;
  • das Recht auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen;
  • das Recht, nicht der Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden".

    (Vereinte Nationen, Erklärung über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen, 20.12.1993)


Zunehmend wird Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung und als eine ernste Angelegenheit der öffentlichen Gesundheit verstanden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht sich 1996 dafür aus, die gesundheitlichen Folgen von Gewalt an Frauen nicht als ein Gesundheitsproblem von Frauen, sondern als einen hohen gesundheitlichen Risikofaktor für Frauen zu begreifen.

Als Folgen der Gewalt gegen Frauen werden benannt:

Nicht - tödliche Folgen:

  • Körperliche Folgen: Verletzungen (von Fleischwunden bis Frakturen und Verletzungen der inneren Organe), ungewollte Schwangerschaften, gynäkologische Probleme, Infektionskrankheiten einschl. HIV, Fehlgeburten, chronische Schmerzen, Kopfschmerzen, chronische Behinderung, Asthma, selbstverletzendes Verhalten u. a.
  • Psychische Folgen: Depression, Furcht, Ängstlichkeit, niedriges Selbstwertgefühl, sexuelle Störungen, Essstörungen, Zwangsstörungen, Posttraumatische Belastungsstörung
  • Tödliche Folgen: Selbstmord, Mord, Müttersterblichkeit, HIV/Aids (vgl. dies., S. 11).

Trotz unzulänglicher Datenlage zum Ausmaß von Gewalt offenbaren sowohl die Erfahrungsberichte aus der Praxis, insbesondere die Dokumentationen der Arbeit von Frauenprojekten, als auch wissenschaftliche Untersuchungen die globale Dimension des Problems. Nationale und internationale Bestrebungen richten sich darauf, zuverlässige Daten zu den verschiedenen Formen von Gewalt gegen Frauen weltweit zu erlangen.

Der UNICEF-Bericht „The Progress of Nations“ (1997) benennt Gewalt gegen Frauen und Mädchen als die häufigste Form von Menschenrechtsverletzungen in der Welt und unterstreicht, dass Frauen weltweit das größte Risiko haben, durch einen Mann, den sie kennen, Opfer von Gewalt zu werden. Von der Weltbank ausgewertete (35) Studien haben zum Ergebnis, dass in Industrie- und Entwicklungsländern jede vierte bis jede zweite Frau körperliche Gewalt durch ihren Partner erlitten hat und eine von fünf bis eine von sieben Frauen in ihrem Leben Opfer einer Vergewaltigung werden (Bunch 1998, S. 12). Der Weltbevölkerungsbericht 2000 verweist darauf, dass weltweit betrachtet „... mindestens jede dritte Frau schon einmal geschlagen, zum Sex gezwungen oder auf andere Weise missbraucht worden (ist) – in den meisten Fällen von jemand, den sie kannte, und oft vom eigenen Ehemann oder einem nahen männlichen Verwandten" (DSW, S. 34). Der Bericht führt (u. a.) weiter auf: „Weltweit ‚fehlen’ aufgrund von geschlechtsselektiven Abtreibungen, Kindermorden oder Vernachlässigung mindestens 60 Millionen Mädchen, die ansonsten am Leben wären. (...) Jedes Jahr werden rund zwei Millionen Mädchen zwischen fünf und 15 Jahren dem kommerziellen Sexgeschäft zugeführt. Weltweit leiden mindestens 130 Millionen Frauen an den Folgen von Genitalverstümmelungen und jedes Jahr erhöht sich diese Zahl um weitere zwei Millionen Frauen“ (dies., S. 35).

Die nachfolgende Darstellung (dies., S. 38) zeigt auf, in welcher Weise Gewalt Frauen im gesamten Lebensverlauf bedroht und betrifft.

Geschlechtsbedingte Gewalt im Leben von Frauen

Phase Formen der Gewalt

Pränatal

Geschlechtsselektive Abtreibungen; Gewalt gegen schwangere Frauen; erzwungene Schwangerschaften (Vergewaltigung in Kriegszeiten)

Säugling

Ermordung weiblicher Säuglinge; emotionaler und körperlicher Missbrauch; ungleicher Zugang zu Ernährung und medizinischer Versorgung

Kindheit

Genitalverstümmelung; Inzest und sexueller Missbrauch; ungleicher Zugang zu Ernährung medizinischer Versorgung und Bildung; Kinderprostitution

Jugend

Gewalt bei Verabredungen; ökonomisch erzwungener Sex; sexueller Missbrauch am Arbeitsplatz; sexuelle Belästigung; erzwungene Prostitution

Reproduktives Alter

Missbrauch [Misshandlung] durch Partner; Vergewaltigung in der Ehe; Mitgiftverbrechen und -morde; Ehemord; psychischer Missbrauch; sexueller Missbrauch am Arbeitsplatz; sexuelle Belästigung; Vergewaltigung; Missbrauch von Frauen mit Behinderungen

Hohes Alter

Missbrauch [Misshandlung] von Witwen; Missbrauch [Misshandlung] älterer Menschen (dem zumeist Frauen zum Opfer fallen)

Beseitigung der Gewalt gegen Frauen und Mädchen

In Deutschland haben autonome Fraueninitiativen und nachfolgend freie Träger Hilfeangebote für Frauen und Mädchen aufgebaut in Form von Frauenhäusern, Notrufen, Frauenberatungsstellen, Beratungsstellen zu sexuellem Missbrauch und Fachberatungsstellen für Frauen und Mädchen, die von Frauenhandel betroffen sind. (Bis heute ist das Angebot ist weder flächendeckend noch ausreichend finanziert.) Die Aktion von TERRES DES FEMMES „Menschenrechte für die Frau“ zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen (und 20 Jahren TERRES DES FEMMES) am 25. November 2001 kann mit den von ihnen vertretenen Forderungen als beispielhaft angesehen werden für die Forderungen, die Frauengruppen und andere Nichtregierungsorganisationen seit langem zur „Beseitigung der Gewalt gegen Frauen“ stellen:

  • "Ein freies und selbstbestimmtes Leben für alle Frauen und Mädchen weltweit
  • Gleichberechtigung von Frauen und Männern
  • Finanzielle Absicherung von Beratungsstellen, Frauenhäusern und Zufluchtswohnungen
  • Konsequente Strafverfolgung und bessere Opferentschädigungsmaßnahmen
  • Gewaltprävention in Schulen
  • Verbesserung der gesetzlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die ein gleichberechtigtes Miteinander von Männern und Frauen garantieren“.

Die Erfahrungen der Praxis zeigen deutlich, dass „konzertierte Aktionen zur Ächtung von Gewalt“ (Hagemann-White, 1992) notwendig sind, um über die Versorgung der Opfer und die „Verwaltung der Gewalt“ hinaus Veränderungen zu bewirken. In den neunziger Jahren sind in Deutschland auf kommunaler Ebene Ansätze entwickelt worden, um interinstitutionell daran zu arbeiten, die Situation von Frauen als Opfern von Gewalt zu verbessern und Täter in die Verantwortung zu nehmen. Darüber hinaus geht es darum, Maßnahmen und „Strategien gegen Gewalt im Geschlechterverhältnis“ zu entwickeln (vgl. Hagemann-White 1991), die dazu beitragen, diese Gewalt abzubauen bzw. ihre Entstehung zu verhindern. Mit dieser Zielsetzung sind „Runde Tische“ oder Arbeitskreise gegründet worden (auch im Kreis Warendorf), an denen VertreterInnen unterschiedlicher staatlicher und privater Institutionen und Organisationen teilnehmen.

Aus diesem Zusammenhang und in Anlehnung an Modelle aus dem Ausland sind in Deutschland verschiedene „Interventionsprojekte“ entstanden, die als "institutionalisierte Kooperationsbündnisse" in der Arbeit gegen häusliche Gewalt ansetzen (vgl. Eichler/Schirrmacher 1998; Kavemann et al. 2000). Das Berliner Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt (BIG) wurde 1995 als Bundesmodellprojekt installiert, in dem Frauenschutzprojekte, Senatverwaltungen, Polizei, Justiz sowie weitere Projekte und Institutionen zusammenarbeiten.

Weitere Informationen: Wibig

Fazit

Gewalt gegen Frauen und Mädchen stellt ein jahrtausendealtes Phänomen dar, dessen ungeheures Ausmaß heute offensichtlich wird. Abgesehen von den hohen ökonomischen Kosten, die hierdurch für eine Gesellschaft entstehen, „... kosten (jedes Jahr) Vergewaltigungen und häusliche Gewalt Frauen weltweit Millionen gesunde Lebensjahre“ (DSW, S. 10). Die Anstrengungen der letzten dreißig Jahre, Gewalt gegen Frauen zu beseitigen und an einem gesellschaftlichen Frieden zu arbeiten, müssen fortgesetzt werden, damit die Idee des menschlichen Fortschritts nicht bloß eine Phantasie bleibt (vgl. Bunch, S. 9). Opfer von Gewalt brauchen Unterstützung und Anerkennung des erlittenen Unrechtes. Die Antworten, die sie von der Gemeinschaft und (Fach-)Personen erhalten, sind mitentscheidend, ob sie diese Gewalt überleben und in welcher Weise sie verarbeitet werden kann.

(Verfasserin: Birgitta Rennefeld, Frauenberatungsstelle Beckum)

Literatur

Brückner, Margrit: Wege aus der Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Eine Einführung, Frankfurt/M. 1998.

Bunch, Charlotte: Der unerträgliche Status quo. Gewalt gegen Frauen und Mädchen, in: Heiliger, A./Hoffmann, S.: Aktiv gegen Männergewalt. Kampagnen und Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen, München 1998, S. 9-20.

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): 2. Bericht der Sonderberichterstatterin zum Thema Gewalt gegen Frauen - Ursachen und Folgen gemäß der Resolution 1995/85 der Menschenrechtskommission. Materialien zur Frauenpolitik Nr. 59, 1997.

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Bericht der Sonderberichterstatterin zum Thema Gewalt gegen Frauen - Ursachen und Folgen gemäß der Resolution 1997/44 der Menschenrechtskommission. Materialien zur Frauenpolitik Nr. 70, 1998.

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Gewalt gegen Frauen: Ursachen und Interventionsmöglichkeiten. Schriftenreihe Band 153, Stuttgart 1998.

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Neue Fortbildungsmaterialien für Mitarbeiterinnen im Frauenhaus. Gewalt im Geschlechterverhältnis. Schriftenreihe Band 191.1, Stuttgart 2000.

Bundeszentrale für politische Bildung: Menschenrechte. Dokumente und Deklarationen, 3. Aufl., Bonn 1999.

Chinkin, Christine: Gewalt gegen Frauen ist keine Privatsache mehr. Frauenrechte sind heute anerkannter Teil des Menschenrechtskatalogs, in: Gunnar Köhne: Die Zukunft der Menschenrechte. 50 Jahre UN - Erklärung: Bilanz eines Aufbruchs, Hamburg 1998, S. 104-123.

Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW): Weltbevölkerungsbericht 2000: Frauen und Männer - getrennte Welten, Stuttgart 2000.

Eichler, Susanne/Schirrmacher, Gesa: Friedenspraxis gegen Alltagsgewalt – Voraussetzungen inter-institutioneller Zusammenarbeit zum Abbau von Gewalt im Geschlechterverhältnis. Abschlußbericht des gleichnamigen Projektes im Rahmen des Projektverbundes „Friedens- und Konfliktforschung in Niedersachsen“, Projektleitung: Prof. Dr. Hagemann-White und Prof. Dr. Schall, Universität Osnabrück 1998.

Godenzi Alberto: Gewalt im sozialen Nahraum, 2. unveränd. Aufl., Basel 1993.

Hagemann-White, Carol (mit Lang/Lübbert/Rennefeld): Strategien gegen Gewalt im Geschlechterverhältnis. Bestandsanalyse und Perspektiven, Pfaffenweiler 1992.

Hagemann-White, Carol/Helfferich, Cornelia: Gewalt im Geschlechterverhältnis, in: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Bericht zur gesundheitlichen Situation von Frauen in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Entwicklung in West- und Ostdeutschland. Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Bd. 209, Stuttgart 2001.

Heiliger, Anita/Hoffmann, Steffi (Hrsg.): Aktiv gegen Männergewalt. Kampagnen und Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen international, München 1998.

Herman, Judith L.: Die Narben der Gewalt. Traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden, München 1994.

Kavemann, Barbara/Bundesverein zur Prävention von sexuellem Missbrauch an Mädchen und Jungen e .V.: Prävention. Eine Investition in die Zukunft, Ruhmark 1997.

Kavemann, Barbara/Leopold, Beate/Schirrmacher, Gesa/Hagemann-White, Carol: Modelle der Kooperation gegen häusliche Gewalt. „Wir sind ein Kooperationsmodell, kein Konfrontationsmodell.“ Abschlußbericht der Wissenschaftlichen Begleitung des Berliner Interventionsprojektes gegen häusliche Gewalt – BIG, Bd. 1, Berlin, Osnabrück 2000.

Schmidt - Häuer, Julia: Menschenrechte - Männerrechte - Frauenrechte. Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsproblem. Reihe Geschlecht - Kultur – Gesellschaft, Bd. 6, Hamburg 2000.

Schweikert, Birgit: Gewalt ist kein Schicksal. Ausgangsbedingungen, Praxis und Möglichkeiten rechtlicher Intervention bei häuslicher Gewalt unter besonderer Berücksichtigung von polizei- und zivilrechtlichen Befugnissen, Baden – Baden 2000.

TERRES DES FEMMES: 25. November. Nein zu Gewalt an Frauen. frei leben ohne gewalt, Tübingen 2001

World Health Organisation: Violence against Women. WHO Consultation, Genf, 5 - 7 Februar 1996.

Unter Links finden Sie Adressen von Vereinen/Organisationen, deren Webseiten Literaturangaben zum Thema enthalten.